Freitag, 9. Februar 2007
11.01.2007: Eine Strandpromenade und Sportschuhe
Es ist zwar nicht einfach aus dem Bett zu kommen, aber es funktioniert und ich sitze rechtzeitig im Englischunterricht. Unter anderem müssen wir uns aus einem Haufen Bücher auf Englisch eines aussuchen. Dieses sollen wir dann irgendwann später einmal vorstellen. Unschlüssig stehe ich vor dem Tisch mit den Büchern. Es gibt einige, die auch im Schulbuch durchgenommen werden und zu denen es auch Vokabellisten gibt, z.B. ein Buch über ein magersüchtiges Mädchen. Aber es gibt auch völlig andere Literatur. Ich war in meiner Schulzeit immer um eine solche Präsentation herumgekommen. Außerdem weiss ich nicht, wie engagiert ich sein will. Ich entscheide mich schließlich für das Buch “Airport“ von Arthur Hailey, weil es nicht sehr dick ist und über gleichmäßige Kapitellänge verfügt. Auβerdem scheint die Geschichte mit einem gewaltigen Schneesturm ganz interessant zu sein. Anscheinend sogar so interessant, dass es von dem Buch bereits einen Film gibt. Jedenfalls fragt mich Anita, ob ich den Film gesehen hätte. Zudem erfahre ich, dass der Italiener mittlerweile eingetroffen ist. Da bin ich ja mal gespannt, ob es sich dabei um einen stolzen Süditaliener handelt, der mir erstmal den Gewinn der Weltmeisterschaft unter die Nase hält? Auβerdem frage ich mich, wo der bitte heute Morgen gewesen sein soll, weil ich niemanden neuen in unseren Flur bemerkt habe. Es stellt sich heraus, dass Luciano zwar im selben Haus, aber auf einer anderen Etage wohnt. Dasselbe gilt für die Weiβrussin, die ich anscheinend unbewusst gestern beim Volleyball spielen gesehen habe. In der darauf folgenden Stunde bekomme ich Luciano dann auch zu sehen. Er sitzt mir gegenüber auf der anderen U-Seite. Das erste, wodurch ich auf ihn aufmerksam werde, ist sein italienischer Akzent. Ich tippe auf einen Norditaliener. Er ist eher hellhäutig, trägt eine schwarze Brille und macht von seinem Auftreten einen eher relaxten Eindruck. Während ich interessiert seinem Schwedisch mit dem italienischen Akzent lausche, der mich gedanklich eher in den warmen Süden versetzt, frage ich mich, was einen Italiener bitte hierher nach Schweden treibt. Was auffällt, ist, dass Luciano sehr lange, schwarze, lockige Haare hat. Und wenn ich sage lang, dann meine ich lang. Auβerdem trägt er eine “Dream Theater“-Jacke. Vielleicht ist er wegen der Musik hier? Aber diese Logik hakt an allen Ecken und Enden. Das sind ja gar keine Schweden. Ich werde es wohl noch in der nächsten Zeit erfahren.
Als nächstes lerne ich einen weiteren neuen Lehrer kennen: Michael. Michael ist recht jung und spricht so schnell, dass nicht nur ich, sondern auch Svetlana und Boris ihre Mühe haben, etwas zu verstehen. Er ist “socialpsykolog“ und arbeitet vor allem im Bereich der Alkohol Suchtprävention bei Jugendlichen. Und er ist unser Psychologielehrer. Schnell merke ich, dass es sich hier nicht um einen theoretisch wissenschaftlichen Kurs handelt, wie ich ihn in meiner Schulzeit hatte, sondern eher um eine praxisorientierte, auf den Alltag konzentrierte Veranstaltung. Also kein Pawlowscher Hund. Was aber stattdessen im Lehrplan steht, wird mir auch nicht ganz klar, weil Michal es trotz unzähliger Wörter pro Minute gerade einmal so schafft sich und seine Arbeit vorzustellen und uns zu fragen, was wir von dem Unterricht erwarten.
Mein letztes neues Fach für heute ist Schwedisch. Hier steht Ibsens “Nora oder ein Puppenheim“ auf dem Plan. Das ist ja sehr passend. Schlieβlich ist es gerade einmal ein halbes Jahr her, dass ich eine Hausarbeit über Ibsens “Gespenster“ geschrieben habe und mich dafür auch mit Nora auseinandersetzen musste. Und somit fällt mir diese Schwedischstunde nicht gerade schwer. Daher habe ich im Anschluss an den Unterricht noch so viel Energie, ein Foto des Klassenzimmers Nr. 13 zu machen.

Klassenzimmer 13

Klassenzimmer 13

Da es sich bei der letzten Stunde des Tages um Mathe handelt, haben wir heute einmal im Hellen Schule aus, was eine sehr schöne Sache ist. Boris, Svetlana und ich beschlieβen die viel gelobte Strandpromenade aufzusuchen und am Kalixälv entlang in die Stadt zu laufen. Auf der Suche nach der richtigen Straβe, die runter zur Strandpromenade führen soll, stehen wir plötzlich am Ende einer Sackgasse. Von hier aus können wir weiter unten die Straβe und die Strandpromenade erblicken. Vor uns liegen zwei Häuser mit groβen Gärten über die wir die Straβe erreichen könnten. Nach kurzer Lagebesprechung beschlieβen wir durch die Gärten nach unten zu laufen. Es gibt keine Zäune über die wir klettern müssten und auβerdem wird es langsam wieder dunkel. Und alles wieder zurück und den richtigen Weg zu suchen, dazu haben wir auch keine Lust. Und da wir uns nicht in Texas befinden und wohl kaum von einem aufgebrachten Cowboy erschossen werden, stapfen wir durch den Schnee den Hang runter. Zügig. Als wir an dem zweiten Haus vorbeilaufen, kommt gerade ein Junge von der danebenliegenden Garage zum Haus. Aber wir sind ihm völlig egal. Er hat gerade wichtigeres zu tun. Mit einer groβen Schneeschippe schafft er Schnee an eine Stelle des Hanges und baut sich eine Schanze. Das daneben liegende Snowboard macht klar wofür. Ich werde ein wenig neidisch. Seine eigene Snowboardschanze am groβen Hang neben dem Haus zu haben ist schon eine recht coole Sache. Nachdem wir den Hang hinunter gegangen sind und die Straβe überquert haben, sind wir an der Strandpromenade angekommen und machen sogleich die ersten Fotos vom zugefrorenen Kalixälv.


Kalixälv

Kalixälv

Kalixälv

Boris und Svetlana an der Strandpromenade

Dann laufen wir den Weg entlang richtung Stadt. Man hat hier wirklich einen sehr schönen Blick. Das einzige, was die Sache etwas trübt, ist, dass nicht weit von der Strandpromenade die Straβe entlangläuft. Es ist also nicht vollkommene Natur. Für das Erste bin ich aber zufrieden und sage mir selber, dass die reine Natur ja nicht so weit weg sein kann und ich sie auch noch finden werde. Vielleicht muss man etwas in die von der Schule aus andere Richtung laufen? Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich den Wald, den ich mir in meinem Kopf vorstelle, schon noch finden werde.
In Kalix angekommen gehen wir zu einem INTERSPORT-Sportgeschäft. Boris hat es gestern entdeckt und sich dort recht günstig Hallensportschuhe gekauft. Ich muss nur ansatzweise an den gestrigen Abend denken und weiss, was ich zu tun habe. Das Geschäft ist recht groβ und ich habe einige Schuhe zur Auswahl. Auch die Preise sind überraschend billig. Dies hängt auch damit zusammen, dass einige Schuhe im Ausverkauf sind und nur die Hälfte kosten. Das Paar Schuhe, das mir am Besten gefällt, ist leider nicht im Ausverkauf. Um die 120 € sind zwar in Deutschland, kein so hoher Preis für Sportschuhe, wie ich neulich feststellen musste, aber mir jedoch eindeutig etwas zu viel. Die zwei etwas billigeren Schuhversionen passen jedoch nicht ganz so gut oder sehen nicht so aus, als ob sie mehrere Fußballspiele überleben würden. Schlieβlich entdecke ich etwas weiter unten schwarz-weiβe Puma Hallensportschuhe. Die sehen ja gar nicht schlecht aus. Dafür wundere ich mich etwas, dass sie nur 250 Kronen kosten sollen. Aber das einzige, was zu diesem Preis noch zu bemerken ist, ist, dass die Schuhe um 50% runtergesetzt sind. Es tut mir ja leid für den netten und sehr fürsorglichen Verkäufer, aber ich muss jetzt die teuren Schuhe zur Seite stellen und nach den billigen hier fragen. Und siehe da, der ausgestellte Schuh hat sogar meine Gröβe. Passt aber nicht, er ist zu kurz!. Nach kurzer Rückfrage bekomme ich aber eine Nummer Gröβer gebracht. Und siehe da... nach einigen Schritten stellt sich der Schuh als äuβerst angenehm zu tragen heraus. Die Lederaufmachung wird wohl auch einige Fuβballspiele durchhalten und er ist auch nicht so niedrig, dass man beim Volley- oder Basketball ständig Angst um seine Knöchel haben muss. Super! Da gibt es jetzt jedoch noch eine Sache, die mir das ganze verderben kann: mein anderer Fuβ. Der fällt in der Gröβe nämlich meist etwas anders aus. Somit frage ich, ob ich bitte auch einmal den anderen Schuh haben könnte, “weil ich zwei verschiedene Füβe habe!“ Der Verkäufer, sowie Svetlana und Boris fangen an zu lachen. Der Mann im blauen Intersport-T-Shirt meint, dass er auch zwei verschiedene Füβe habe und geht den anderen Schuh holen. Derweil lasse ich mir von Svetlana meine eigene Aussage erklären. Der andere Schuh passt auch super. Somit ist die Sache klar. Die ebenfalls um 50% reduzierten Winterstiefel sind mir jedoch viel zu groß. Die sollte ich mir höchstens zulegen, wenn ich im Sommer auf dem Kalixälv paddeln will. Die Winterstiefelfrage wird somit vorerst weiterhin verschoben. Auf dem Weg zur Kasse kommen wir an einem groβen Wühltisch mit Badeschlappen vorbei. Auf denen steht zwar groβ “INTERSPORT“, aber es sind die ersten und bisher einzigen Badeschlappen, die ich in Kalix gesehen habe. Und ich glaube, dass ich mittlerweile alle Möglichkeiten in Kalix Schuhe zu kaufen besichtigt habe. Also stürze ich mich in den Haufen Badelatschen und suche ein paar mit der Gröβe 44. Es ist etwa so, wie die Nadel im Heuhaufen zu suchen. Alle Schuhe sehen gleich aus. Und ich finde auch so gut wie sämtliche Größen. 36, 48, 43, 45... nur keine 44. Aber jetzt hat mich der Ehrgeiz gepackt. Ich gehe hier nicht weg, bevor ich nicht jedes einzelne Paar dieser Latschen hier auf seine Größe untersucht habe. Bei einem beiläufigen Blick zur Seite bemerke ich, dass Boris einen leicht verzweifelten Gesichtsausdruck trägt. Mit mir einkaufen zu gehen ist halt wirklich nicht einfach. Svetlana hingegen erkennt, als ich beginne mich in die unteren, unzugänglichen Schichten vorzuarbeiten, dass ich es ernst meine und steigt in die schwierige Suche mit ein. Und wie so oft haben Frauen bei so etwas wohl von Natur aus ein glücklicheres Händchen. Nach kurzer Zeit zieht sie ein paar Schlappen mit der Größe 44 von ganz unten aus dem Haufen. Wunderbar! Ich bezahle und verlasse sehr zufrieden mit meinen zwei Beutestücken das Sportgeschäft. Was mich jedoch noch eine kleine Weile zum grübeln bringt ist, dass ich versuche das Preisverhältnis zwischen den 250 Kronen teuren Puma Sportschuhen, die einen qualitativ guten Eindruck machen, mit den 50 Kronen für die Gummibadelatschen mit teilweise verblichenem “INTERSPORT“-Aufdruck in ein logisches Verhältnis zu setzen, was mir irgendwie nicht gelingt.
Als nächstes gehen wir in das größte Büchergeschäft von Kalix. Leider gibt es hier weder ein Buch über, noch eine Karte mit irgendwelchen Wanderwegen von Kalix. Eigentlich gibt es überhaupt nichts, was in irgendeiner Weise mit Kalix, der Kommune Kalix oder seiner weiteren Umgebung zu tun haben könnte. Ich frage auch bei der jungen Dame an der Kasse nach, aber es gibt auch nichts zu bestellen. Ein Buch oder eine Art Reiseführer über Kalix scheint es nicht zu geben. Sehr Schade! Ich komme zu dem Ergebnis, dass mir nichts anderes übrig bleiben wird, als selber einen Reiseführer über Kalix zu schreiben. Wenn pro Jahr ein deutscher Student zur Kalix Folkhögskola kommt, dann brauche ich eine Auflage von einem Buch pro Jahr. Das ist doch eigentlich eine sichere Sache.
Als wir etwas verfroren wieder zu Hause ankommen, essen wir erst einmal zu Abend. Ich merke, dass ich unglaublich müde bin. Als ich auf die Uhr schaue stellt sich jedoch heraus, dass es erst 18:30 Uhr ist. Da kann ich ja schlecht schon ins Bett gehen. Also sitzen wir noch eine ganze Weile im Gang herum. Boris geht irgendwann in sein Zimmer. In den letzten Tagen und auch im Laufe des Abends ist bereits öfter das Wort “kylskåp“ (Kühlschrank) gefallen. Ich kann mir das aber irgendwie ums Verrecken nicht merken. Nach dem ca. fünften Nachfragedurchgang an diesem Tag glaube ich, es jetzt endlich im Kopf zu haben. Als ich jedoch beim nächsten Mal den Kühlschrank erwähne, ohne vorher nach dem Wort zu fragen, bricht Svetlana in großes Gelächter aus. Sie muss so lachen, dass ihr die Tränen über das Gesicht laufen. Ich schaue etwas irritiert an mir herunter und inspiziere mich und meine Umgebung. Ist vielleicht irgendetwas lustiges passiert, was ich nicht bemerkt habe? Als sie wieder etwas mehr Luft bekommt, sagt sie nur das Wort “frysköp“ und muss wieder anfangen zu lachen. Ich verstehe leider gar nichts und frage mich, was an dem schwedischen Wort für Kühlschrank denn so lustig sein soll. Es bedarf einige Minuten Beruhigung bis ich über meinen Fehler aufgeklärt bin. Und auch ich kann mich sehr über meine Gedankengänge amüsieren, die aus “kylskåp“ einen “frysköp“ machen. Jedoch bleibt für uns die Frage, was ein “frysköp“ ist und ob es das Wort denn im Schwedischen überhaupt gibt. Bei genauerer Überprüfung ist das Wort im Wörterbuch nicht zu finden. Somit gehe ich mit einem gewissen Stolz darüber, dass ich ein neues Schwedisches Wort erfunden habe, in mein Zimmer. Das letzte, was ich an diesem Tag noch mache, ist, im Internet nach einer Möglichkeit zu suchen, meine Erlebnisse und Fotos ins Internet zu stellen. Morgen ist der letzte Schultag der ersten Woche. Dann ist Wochenende. Und ich werde am Wochenende bestimmt ausschlafen.