Donnerstag, 1. Februar 2007
09.01.2007: Mein erster Schultag
Um 7:00 Uhr klingelt mein Handy. Wie es meistens an solchen Tagen ist, fällt es mir eigentlich überraschend leicht aus dem Bett zu kommen. Pünktlich um 7:33 Uhr bin ich für das Frühstück fertig. Allerdings ist es ziemlich schwierig zum Essenssaal zu gelangen. Ich folge Boris und Svetlana über die 2-4 cm dicke, blanke Eisschicht. Vielleicht hätte ich mir eher Schlittschuhe mitnehmen sollen. Wir nehmen den Weg an der Straße entlang. Als ich mehrfach mit meinen Sportschuhen einfach nur in der Gegend herumrutsche, beschließe ich, dass es besser ist mit nassen Füßen, als mit irgendeinen Knochenbruch beim Frühstück anzukommen. Somit wähle ich den Weg neben dem Weg durch den etwas höheren Schnee. Als ich Svetlana und Boris am Essenssaal eingeholt habe, stellt sich diese Wahl als gut heraus. Svetlana hatte sich für das Eis entschieden und war ausgerutscht und ziemlich unangenehm auf das Eis gefallen. Als wir den Essenssaal betreten, macht er auf mich spontan einen sehr schönen Eindruck. Runde und eckige Holztische sind im Raum verteilt. Die Wände haben große Fenster, die die Lampen auf den Fensterbrettern wiederspiegeln. Draußen ist es stockdunkel. In ungefähr der Mitte des Raumes steht ein Buffet. Dort gibt es Brot, Wurst, Käse, Müsli, Saft und Kaffe. Gerade durch das viele Holz hat der Raum etwas von Urlaub und Skihütte. Ich frühstücke etwas, was ich sonst auch nur im Urlaub esse: Ein Brot mit Wurst und Käse. Dazu gibt es ein Müsli und einen Orangensaft. Super! Das gefällt mir! Ich glaube, dass es sich hier leben lässt. Spontan kommt mir die Vorstellung von fünf Monaten Urlaub in den Sinn. Wenn das so weitergeht, dann wird das richtig erholsam. Andererseits muss ich nach dem Frühstück erst einmal ins Lehrerzimmer, um meinen Stundenplan zu besprechen. Nachdem ich von Svetlana und Boris gehört habe, dass sie sich geweigert haben Mathe zu besuchen, beschließe ich, dies ebenfalls zu tun. Die Lehrerin ist zwar etwas zu bedauern, da anscheinend so gut wie alle Austauschstudenten nicht zu ihrem Unterricht kommen wollen, aber irgendwo muss ich doch auch an mich denken. Die Stundenplanbesprechung läuft ansonsten so ab, dass sie mir zeigt, wann welche Fächer sind, dann einen gelben Punkt in das entsprechende Feld malt und mir sagt, dass ich mir das mal anschauen solle. Erfreulicherweise stellt sich dabei auch heraus, dass es sich bei dem handgeschriebenen Kürzel nicht um ein “Py“, was ich mit Physik in Verbindung gebracht habe, sondern um ein “Ps“, für Psychologie, handelt. Auf meine Anfrage, ob ich denn heute vielleicht an dem Unterricht der Journalistik-Linie teilnehmen dürfe, bekomme ich die Antwort, dass das gar kein Problem wäre und das das Wichtigste wäre, dass ich mein Schwedisch verbessern würde. Also schließe ich mich Boris und Svetlana an, die mir den Tipp mit der Journalistik-Linie gegeben haben.
Bei einem schnellen Vergleich mit Boris und Svetlana stellt sich heraus, dass ich den vollsten Stundenplan habe. Svetlana geht nur zu Englisch B, weil A zu leicht ist. Ich habe in der Uni zuletzt einige Probleme mit meinem Englisch gehabt und mich deshalb für Englisch A angemeldet. Die Lehrerin hat mir jedoch gesagt, dass ich trotzdem auch zu Englisch B gehen soll. Boris hat überhaupt kein Englisch, da er als Schotte der englischen Sprache logischerweise mächtig ist.
Der Raum der Journalistik-Linie sieht eher aus wie eine Redaktion, als wie ein Klassenzimmer. Viele Gruppentische, viele Computer, Zeitungsseiten und Papiere hängen an Schnüren im Raum herum. Der Grund, warum wir heute gleich hierher wollten ist, dass heute ein Umweltjournalist aus Luleå zu Gast ist. Nachdem wir drei Auslandsstudenten uns vorgestellt haben, berichtet dieser über verschiedene Umweltprobleme und die entsprechenden Herausforderungen auf diesem Gebiet für Journalisten und die Arbeit von Journalisten im Allgemeinen. Außer Boris und Svetlana und mir sitzen noch 14 weitere Teilnehmer im Raum. Zu meiner Beruhigung handelt es sich um verschiedene Personen von unterschiedlicher Altersklassen. Ich bin also nicht zu alt. Insgesamt scheinen hier gute Lernbedingungen zu herrschen. Wobei mir das Verhalten der Studenten eigentlich schon zu locker ist. Der eine hat die Füße auf dem Tisch. Bei einem klingelt das Telefon und er geht telefonierend vor die Tür. Ein Mädchen ist gleichzeitig im Internet beschäftigt. Hm..? Andererseits handelt es sich hier ja nicht um eine Uni, sondern eher um eine Art praktisch orientierte Ausbildung. Wie ich nach einer Weile mitbekomme, sind hier gerade auch zwei Kurse anwesend. Das heißt, dass ein Kurs aus gerade einmal 7 Personen besteht. Und die Schüler habe den Kurs ja auch bezahlt und somit kann man auch eine Stunde zu spät kommen, wenn man will. Aber auf jeden Fall ist das hier etwas anders, als ich es gewohnt bin. Nach einer Stunde haben wir 20 Minuten Kaffeepause. Boris holt sich einen Kaffee und ich einen Saft. Als wir uns zu unseren Plätzen begeben wollen, werden wir von der Frau an der Theke angesprochen, dass wir noch bezahlen müssten. Das habe ich natürlich nicht gewusst und bekomme ein leicht unangenehmes Gefühl. Ich wollte keinen Saft klauen! Nach kurzer Rückfrage ist die Sache aber schnell geklärt und wir verstehen das Prinzip: Frühstück und Mittagessen = Kaffee kostenlos; Kaffeepause = Kaffee 7 Kronen, Saft = 5 Kronen. Es folgt eine weitere Stunde Vortrag. Ich verstehe zwar nicht alles, aber kann der Grundlinie einigermaßen folgen. Die Zeit vergeht recht schnell und bald gibt es dann auch Mittagessen. Dieses ist genauso super, wie das Frühstück. Ein großes Salatbuffet und Kartoffelbrei mit einer Art Kassler. Und dazu gibt es einen unglaublich tollen Blick aus dem Fenster in Richtung Wasser und der am Horizont stehenden Sonne. Von diesem Anblick begeistert holen Boris und ich noch schnell unsere Kameras und versuchen zum Fluss zu kommen. Dies ist aufgrund des nassen Schnees und einer Recht großen Straße zwischen Fluss und Folkhögskola gar nicht so einfach.

Kalixälv vom Rande der Folkhögskola

Wir versuchen näher an den Kalixälv zu kommen

Dennoch schaffen wir es und machen unsere ersten nahen Fotos vom Kalixälv. Da wir nur eine Stunde Mittagspause haben, müssen wir uns beeilen wieder zurück zu kommen. Der Schnee hat mir während dieser Aktion erneut nasse Füße beschert, aber die Fotos waren es wert.

Kalixälv

Kalixälv 2

In den Nachmittagsstunden lässt meine Aufmerksamkeit doch merklich nach. In der letzten Stunde habe ich das Gefühl, dass mein Hirn wie Brei wäre. Spontan muss ich an das Paket Bloodpudding denken. Ja, das trifft es ziemlich genau! Die Schweden kommen während ihrer geführten Diskussion darauf, dass die deutsche Kette Lidl mittlerweile auch häufig in Schweden zu finden ist und mit seiner billigeren Milch die gute, ökologischere, schwedische Milch verdrängt. Leider kann ich nicht mehr ganz folgen. Ich sitze eigentlich nur da, fühle mich ein wenig betrunken und bin froh, dass mich zum Glück niemand etwas fragt. Einer der Studenten regt sich besonders über die Lidlsache auf. Ich verstehe nur “Deutschland, Deutschland... Deutschland!“. Diese Empörung führt bei seinen schwedischen Mitschülern zu Gelächter. So wie ich es wahrgenommen habe deshalb, weil er gar nicht wusste, dass ein Deutscher anwesend war. Er war nämlich erst nachmittags zum Unterricht dazugekommen. Er tat mir fast ein wenig leid. Ich hätte ihm am liebsten gesagt, dass ich auch kein großer Lidl-Fan bin, wobei ich gegen die Milch eigentlich nichts habe. Aber ich saß nur da und habe darauf gewartet, dass mir jemand sagen würde, dass die Veranstaltung jetzt vorbei sei.
Nach dem Unterricht habe ich mir in der Reception dann eine Schlüsselkarte besorgt, um auch nach 16:00 Uhr und am Wochenende das Schulgebäude betreten zu können. Kurz darauf kommen wir mit einer Lehrerin ins Gespräch, weil wir uns informieren wollen, wo wir in Kalix eine Bank finden können. Als sich herausstellt, dass wir nicht einmal eine Karte von Kalix haben, bringt sie uns nach kurzer Zeit jedem eine Kopie. Zudem erklärt sie uns, wo wir auf der Karte einen größeren Einkaufsladen und andere Dinge finden. Sehr begeistert erzählt sie uns von der Strandpromenade und das man ganz toll mit zwei Laufstöcken an der Promenade entlang laufen können. Ich glaub ich höre nicht richtig. Für mich ist Nordic Walking eigentlich höchstens eine Art Notlösung, wenn man, wie meistens in Deutschland, keine andere Möglichkeit hat. Ich will hier doch Skilanglauf lernen. Ich bin wirklich etwas verwirrt und fast enttäuscht. Spazieren gehen mit zwei Stöcken. Naja... es gibt bestimmt noch “richtige Schweden“ hier. Aber nichts desto trotz ist die Lehrerin sehr nett und ehe wir uns versehen, sind wir für in zehn Minuten bei ihrem Auto verabredet. Mit ihrem kleinen, weißen Golf fahren wir dann eine Runde und bekommen alles gezeigt: Zwischen Stadt und der Folkhögskola liegt die “Kalix Sportcity“. Ein Gebäude mit Schwimmbad und Fitnessstudio. Allerdings erklärt uns die Lehrerin, dass es gewöhnungsbedürftig sei dort zu trainieren, weil jeder jeden kennt. Es wäre ein komisches Gefühl, auf dem Laufband zu stehen und sämtliche Nachbarn und Schüler kämen vorbei. Ansonsten zeigt sie uns noch das Gemeindehaus mit Bibliothek, das Rathaus, das große Hotel, den Buchladen, einen großen Einkaufsladen, die Straße, in der man schön einkaufen könne, zwei verschiedene Banken und die Pizzeria, in der es die billigste Pizza in ganz Kalix gibt. Allerdings habe ich während der Fahrt gerade einmal insgesamt zwei Pizzerien entdecken können. Während ich mir alles anhöre und ansehe komme ich zu der festen Überzeugung, dass das Leben in Kalix völlig anders ist, als das Stadtleben, welches ich bisher gekannt habe. Wir lassen uns bei einer Bank rauswerfen und ziehen zu Fuß los. Leider haben wir bei beiden Banken kein Glück. Sie sind entweder zu oder können keine Euros in Kronen wechseln. Wir kommen auch an einem Schuhgeschäft vorbei. Ich schaue mal hinein, um mir einen Überblick über Angebot und Preise zu verschaffen. Zu meinem Bedauern muss ich feststellen, dass es keine Badelatschen gibt. Und mich aber jetzt ernsthaft um neue Schuhe zu kümmern ist mir im Augenblick zu stressig. Die alten werden schon noch ne Weile halten. Auch mit Loch.! Als wir in den großen Einkaufsladen gehen, es handelt sich hierbei um einen COOP, schaue mich auch dort bei den Schuhangeboten um. Auch hier muss ich feststellen, das ich keine Badeschlappen finden kann. Vielleicht gibt es so was hier gar nicht. Warum sollte man auch solche Schlappen hier haben wollen. Ist ja eh viel zu kalt. Hoffentlich werde ich es nicht noch bereuen, auf meine Hausschuhe, die auch als Badelatschen umfunktioniert werden können, verzichtet zu haben? Dafür habe ich bei einer anderen Sache Glück. Es gibt ein Fünferpack weißer Grablichter im Angebot. Die sind ideal: erstens günstig, zweitens fackeln sie nicht so leicht den Raum ab. Außerdem kaufe ich mir noch ein Zweierpack Feuerzeuge, um die Lichter anmachen zu können, einen Block, um als motivierter Student durchzugehen, und einen Viererpack Joghurt. Auf dem langsamen, vereisten Heimweg schauen wir noch ins Fitnessstudio rein. Ich bin ja eigentlich nicht so begeistert von solchen Studios. Und auch die durch die Scheibe zu beobachtenden Personen, die sich an den Geräten ertüchtigen, können meine Motivation diesbezüglich nicht verbessern. Viele, die aussehen, wie Wikinger und wenige, die aussehen, wie Wikingerinnen. Außerdem ist es mir schlicht und einfach zu teuer. Aber das Schwimmbad wird wohl bestimmt mal einen Besuch wert sein.
Nachdem wir etwas müde und verfroren zu Hause angekommen sind, essen wir erst mal gemütlich zusammen zu Abend. Danach wische ich meinen etwas abgestandenen Schreibtisch, das Regal und die Spüle mit einem Lappen ab, den ich im Putzraum aufgestöbert habe. Als meine restlichen Sachen aus Rucksack und Tasche ordentlich im Schrank verstaut sind, mache ich mir zwei Grablichter an und habe noch einen gemütlichen Abend.