Dienstag, 27. Februar 2007
15.01.2007: Nachrichten-TV
Montags fängt die Schule immer erst um 9:30 Uhr an, da einige Schüler über das Wochenende nach Hause fahren und erst in der Nacht oder sogar am Montagmorgen wieder zurück in die Schule kommen. Daher gibt es heute auch bis 8:45 Uhr Frühstück, was wir einmal wieder bei einem tollen Ausblick aus den Fenstern des Speisesaals genießen können.

Blick aus den Fenstern bei Frühstück

Ich und Boris haben am Wochenende beschlossen, dass wir diese Woche beim Unterricht der Journalismus-Linie vorbeischauen wollen. Hier beginnt der Kurs heute bereits um 9:00 Uhr. Jedoch ist von Boris bei Beginn der Veranstaltung nichts zu sehen. Nachrichten-TV mit Jan Sunden steht auf dem Programm. Da sowohl beide Journalismuskurse, als auch beide TV-Kurse an der Veranstaltung teilnehmen, sitzen am Ende sogar insgesamt 25 Personen im Raum. Jan Sunden ist Fachmann, da er jahrelang als Journalist fürs Fernsehen gearbeitet hat. Heute ist ein theoretischer Einführungstag geplant. Eine der ersten Sachen, die er erwähnt, ist, dass es bei Nachrichten um Neuigkeiten geht. Heute interessiere es aktuell nicht mehr, was Hitler irgendwann mal gemacht habe. Es ist irgendwie immer wieder erstaunlich, wie präsent Deutschland zumindest hier in Schweden ist. Ich kann ja nicht beurteilen, wie das in anderen europäischen Ländern aussieht, aber bei allen hier bisher erwähnten anderen Ländern steht Deutschland an Position eins. Allerdings leider auch meist in Verbindung mir Hitler oder dem zweiten Weltkrieg. Dicht gefolgt von Lidl. Während sein Beispiel bei mir für einen tiefen Seufzer sorgt und ich mir denke “Nicht schon wieder...“, hört man von einigen Klassenkameraden nur ein wenig Gelächter. Jedoch kann ich nicht ausmachen, ob es in seiner Formulierung etwas lustiges gab oder ob meine Anwesenheit der Grund dafür ist. Während ich versuche die Ausführungen so gut wie möglich zu verstehen, wird mir ein ganz anderes Problem bewusst. Ich habe hier einfach immer kalte Füße. Und zwar so kalt, dass sie mich ablenken. Ich will aber auch nicht meine Stiefel anziehen. Dann sind die Füße wiederum zu warm und den ganzen Tag in nassgeschwitzten Socken herumzulaufen gehört nicht gerade zu meinen Zielen hier. Wo bleibt nur Boris? Er hat sich bestimmt in der Zeit vertan. Und tatsächlich betritt er um pünktlich um 9:30 Uhr den Raum. Dann wäre das also auch geklärt. Nachdem Jan die Theorie erklärt hat, schauen wir eine aufgezeichnete Nachrichtensendung an. Wir sollen uns eine Meinung bilden und uns überlegen, was wir von ihr halten. Mein erster Eindruck ist äußerst negativ. Das ist langweilig und wirkt sehr amateurhaft. Der Ton ist schlecht, die Bilder sind schlecht und der Reporter ist lahm. Als Jan dann aber von jedem seine Meinung hören will, komme ich ins grübeln. Das war ja schließlich von einem der dritten Programme. Und ich verstehe ja auch nicht alles. Und wer weiss, was die hier so von den regionalen Sendern gewohnt sind. Und ich möchte auch nicht großspurig rüberkommen. Also sage ich, dass ich nicht alles verstanden habe und der eine Beitrag zu verwirrend gefilmt war und der Reporter nicht so gut war, weil man gesehen hat, wie er den Kameramann hinter sich her gewinkt hat. Nachdem alle im Raum gefragt wurden, zieht Jan sein Resümee: Total langweilig und technisch katastrophal sei es gewesen! ... Mist! Die nächsten 10 Minuten habe ich damit zu tun mich über mich selber aufzuregen. Man sollte halt doch einfach sagen, was man denkt.
Weil nicht nur meine Füße kalt sind, sitze ich die ganze Zeit in meiner Winterjacke im Raum. Ich bin zwar nicht der einzige mit Jacke und der ein oder andere hat auch noch seine Mütze auf dem Kopf, aber ich gehöre schon zu den eingepackteren Personen. Als jedoch ein Mädchen etwas weiter weg zu meiner Rechten ihren Pullover auszieht und nur noch in einem dünnen, ärmellosen Sporthemdchen dasitzt, komme ich mir schon etwas komisch vor. Immer wieder muss ich nach rechts blicken, um sicher zu gehen, dass ich mich nicht verguckt habe. Aber sie sitzt wirklich im dünnen Trägerhemdchen da. Und an ihr ist nicht einmal viel dran, was sie wärmen könnte. Ganz im Gegenteil. Richtig dünne Ärmchen. Ich versuche es zwar, aber ich bin nicht in der Lage dieses Phänomen zu begreifen. Das muss doch einfach nur kalt sein. Aber gleichzeitig fühle ich mich ermutigt, es noch einmal ohne Jacke zu versuchen. Also hänge ich sie über meinen Stuhl und sitze jetzt nur im Pulli im Unterricht. Und ich halte es auch bis zum Ende durch.
Als ich nachmittags zum Computersaal gehe und an dem langen Postfach in der Aula vorbeilaufe, sticht mir einer der dort liegenden Briefe seitlich ins Auge. Ich reagiere jedoch nicht weiter darauf, sondern gehe erst einmal im Computerraum ins Internet. Aber innerlich lässt mir das irgendwie keine Ruhe. Da war irgendwas. Und eigentlich gibt es auch nicht viele Menschen, die Briefumschläge produzieren, die derartig auffällig aus der übrigen Post hervorblitzen. Also gehe ich doch noch mal zurück und schau, was das denn war. Und tatsächlich ist es ein lila-silber-glänzender Brief, der aus einer Zeitungsseite im Milka-Stil gebastelt wurde. Als Absender ist Madrid angegeben und auf einem kleinen Kleber steh “1. Brief nach Kalix!“. Somit habe ich mich nicht geirrt, bzw. hat sich die eigentlich irreführende Reizung meiner Netzhaut nicht geirrt und ich habe meine erste Post bekommen. Nachdem ich diese dann in meinem Zimmer in Ruhe gelesen habe, merke ich, dass das alles heute doch sehr anstrengend war und schlafe ein wenig.
Aahh...! Irgendwas schallt von einem der Nachbarräume herüber und weckt mich. Kenn ich doch irgendwie... Ah ja, Green Day. Ich kann mir bedeutend schlimmere Weckmusik vorstellen. Dennoch finde ich es nicht ganz so begeisternd, dass die Wände nur die Schalldämpfung eines dickeren Pappkartons zu besitzen scheinen. Aber ich sollte sowieso wieder aufstehen. Allerdings merke ich schnell, dass es mir nicht so gut geht. Irgendwie bin ich ein wenig deprimiert. Bei meiner Ursachenforschung finde ich keinen einleuchtenden Grund. Vielleicht ist es wirklich die Dunkelheit draußen und das schummerige Licht drinnen in meinem Zimmer? Und ich weiss anfangs auch überhaupt nichts mit mir anzufangen. Schließlich kommt mir die Idee. Ich werde einfach einmal in die Turnhalle gehen und schauen, ob ich ein paar Körbe werfen kann. Gesagt und getan. Und wirklich wird meine Laune nach der ersten Zeit der Eingewöhnung, schließlich habe ich schon seit Jahren nicht mehr auf so einen Korb geworfen, besser. Mit jedem Ball, der sitzt, etwas mehr. Während ich also meine Körbe werfe und mich über meine gute Idee freue, kommt auf einmal Mattias mit zwei Freunden in die Halle. Sie fragen, ob ich Lust hätte mit ihnen Badminton zu spielen. Da mache ich doch gerne mit. Nachdem das Netz aufgebaut ist, geht es los. Und auch hier ist es so, dass ich mit der Zeit immer besser ins Spiel komme. Nach einer guten Stunde kommen weitere Jungs vorbei. Die meisten kenne ich vom Sehen aus der heutigen Veranstaltung. Das Netz wird abgebaut und es werden Innebandyschläger geholt. Auch ich bekomme einen. Nachdem die Mannschaften gewählt sind geht es los. Innebandy kennt man bei uns als Unihockey. Mit Plastikschlägern und leichtem Plastikball spielt man auf zwei kleine Tore. Es ist ein sehr schnelles Spiel. Und das merke ich sehr bald am eigenen Leibe. Während die Jungs hier schnelle genaue Pässe durch die Halle jagen, gezielt schießen und der ein oder andere sogar gut dribbeln kann, bin ich mehr damit beschäftigt dem Ball mit den Augen zu folgen und ihn das ein oder andere Mal nach vorne zu dreschen. Teilweise habe ich das Gefühl, dass ich mich häufig im Kreis drehe.
Als ich völlig erschöpft meine Sportschuhe ausziehe, fragt mich Mattias, ob es mir gefallen habe. Ich bejahe, frage ihn aber im Gegenzug, ob das hier wirklich eine Folkhögskola sei, da es mir mittlerweile eher wie ein Sportinternat vorkommt. Er lacht nur und meint, dass sie hier wirklich viel Sport machen würden. So wie ich mich gerade fühle muss ich auch wirklich viel Sport machen, um irgendwie wieder etwas ausdauernder zu werden. Als ich gemächlich durch den Schnee nach Hause gehe, denke ich darüber nach, dass ich nun alt und langsam bin. Das hat mir das Innebandyspiel deutlich gezeigt. Die Jungs sind einfach 2 bis 3 Jahre jünger als ich. Und sie sind trainiert. Als ich unter der Dusche stehe und immer noch über mein sportliches Schicksaal sinniere, fällt mir irgendwann ein, dass Mattias ja noch älter ist als ich. Und er zählt beim Sport bisher zu den besseren. Das warme Wasser tut gut und mit einem angenehmeren Körpergefühl kommt auch wieder der Mut. Ich beschließe, dass sich die Jungs in einigen Wochen noch umschauen werden, wenn ich erst einmal wieder in Form bin. Somit habe ich wieder Zeit für andere Gedanken und schreibe noch etwas am Blog. Zufrieden und müde gehe ich dann nach einer Weile schlafen. Meinen ersten Brief habe ich auf den Nachttisch gelegt, was diesen optisch wesentlich besser aussehen lässt.